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Die Musen schweigen nicht

Mit einer Schweigeminute begann das V. lnternationale Lyrikfestival Meridian Czernowitz am 5. September 2014. Gedacht wurde der 22 Männer aus der bukowinischen Landeshauptstadt, die bisher beim Einsatz  in der Ostukraine ums Leben gekommen sind, den 2600 Getöteten, den Verwundeten und der halben Million Flüchtlingen.

„Niemand hat je erwartet, dass es zu einer solchen Situation kommen könne“, sinniert der österreichische Dichter Friedrich Achleitner.

Mitten im Krieg war das Festival ein Moment zum Atemholen und ein Versuch des Brückenschlags. Das Motto: „Die Musen schweigen nicht“. Initiiert wurde das Festival 2010 durch Igor Pomerantsev, der nach politischer Verfolgung und Emigration 1978 im russischsprachigen Radio des Westens für die Freiheit die Stimme erhob. Er konnte nicht schweigen. Seine Erfahrung kommt heute Czernowitz, der Stadt seiner Jugendjahre zu Gute: Gemeinsam mit seinem geschäftstüchtigen Neffen Svjatoslav hat er ein Festival etabliert, das Czernowitz wieder näher an Europa rücken läßt.

Inzwischen ist das Festival ein Sprachrohr der Czernowitzer von einst und  gegenwärtiger ukrainischer und europäischer Stimmen.  Zu den Poeten, Schriftstellern, Musikern, Performance-Künstlern aus verschiedenen Regionen der Ukraine, kamen Übersetzer hinzu.  Das Festival in Czernowitz wird nun ergänzt durch eine Poetische Tournee  ausgehend von Charkiv im Osten der Ukraine über Kiew, Czernowitz, Ivano-Frankivsk, Lemberg, Ternopil’, Warschau, Krakau, Prag, Berlin, München, Stuttgart, Köln und Wien.

Resonanzraum

Ukrainische Autoren reisten genauso wie Studenten, Musiker und Künstler in den vergangenen Jahren immer wieder mit Stipendien nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Neben Wien entwickelte vor allem Berlin sich zum Kontaktzentrum: Literaturwerkstatt, Translit oder Literarisches Colloquium Berlin. Jurij Andruchowytsch und Jurko Prochasko wurden Mitglieder deutscher Akademien. Im neuen Jahrtausend begannen auch Sprach- und Kulturreisen die Ukraine in die Programme aufzunehmen. Die Möglichkeit des Studiums ukrainischer Sprache und Kultur in Deutschland reduzierte sich. Die Sprache lernt man jetzt nur noch in München an der Ukrainischen Freien Universität oder konzentriert in zweiwöchigem Ukrainicum-Kurs in Greifswald. Auch andere Ukraine-Projekte an der Leipziger Uni stehen vor dem Aus, wie Kati Brunner weiß, die viele Jahre schon in der Ukraine wirkt und nun als Lektorin des DAAD in Czernowitz lehrt. Das Projekt TransStar in Tübingen mit Claudia Dathe widmet sich dem Ukrainischen. Ein neuer kleiner Lichtblick tut sich auf am Lehrstuhl für Slawistik in Berlin. Professor Susanne Frank sucht intensiv Kooperationen mit der Ivan-Franko-Universität Lemberg.

Ouverture

Die polyphone Ouvertüre des Musenchors gegen den Krieg erklang in Czernowitz im hohen Marmorsaal der Universität. Vor seiner  Pracht versank nicht nur der Münchner Dichter und Verleger Michael Krüger in andächtiges Staunen. Weit ist er herumgekommen und repräsentierte gemeinsam mit Franz Josef Czernin die Schriftsteller der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.  Das Grußwort des deutschen Botschafters Dr. Christof Weil: „Für mich ist Czernowitz ein spiritueller Ort“. Das Stichwort „literarische Solidarität“ wurde im Grußwort des Vorsitzenden der in Darmstadt beheimateten Akademie aufgegriffen. Auf Unbehagen und das Fehlen der einst die Stadt maßgeblich prägenden jüdischen Bevölkerung machte der erstmals die Geburtsstadt seines Vaters besuchende Sohn Celans Eric aufmerksam.  Solidarität mit der Ukraine bekundeten die Grußworte der Botschafter Frankreichs und Österreichs.

In Szene gesetzt

In Palästen und  auf öffentlichen Plätzen wurden  Lesungen abgehalten , Gespräche über Dichtung und Politik geführt und Aktionskunst dargeboten. Bespielt wurden der zentrale Kulturpalast, der einstmals jüdisches Nationalhaus hieß, die Österreichische Bibliothek sowie das neu eröffnete Paul-Celan-Literaturzentrum; weitere Bühnen waren der Boxer-Club Kolosseum, in dem Poeten in den Ring traten, ein Platz an der unlängst umbenannten Straße der Helden des Majdans mit Lesungen unter freiem Himmel, ein großer Innenhof am Haus der Jugend mit Chrystia Vengrynjuks experimenteller Performance „Lange Augen“, in der ein Gott Gefäße formte und parallel hierzu Menschen in Lebenswirren sich bewegten und verloren, der jüdische Friedhof mit Lesungen im Beth Kaddisch und am Schluß die große Arena des Sommertheaters.

Creative Writing

Die Stimmen dreier Akte seien aus dem großen Gesamtkunstwerk herausgegriffen:

Als Siegfried-Unseld-Gastprofessor formte Jurij Andruchowytsch in Berlin im Kurs für kreatives Schreiben des vergangenen Semesters seinen Club von Forscherinnen, die sich dem Studium erfundener Dichter widmen. Bereits im Winter hatte der westukrainische Schriftsteller, zu dessen letzten Veröffentlichungen “Das Lexikon intimer Orte” zählt, mit „Albert“ eine erste öffentliche Performance inszeniert. Die junge Dichterinnenplejade repräsentierte polyphon verschiedene Länder Ostmitteleuropas und wurde insbesondere von Kai mitgerissen, einem schon länger als Dichter auftretenden Mann, der den surrealistischen deutschen Dichter Modal vorstellte. Wo er cool daherkam, stellte Tanja mit ihrer deutschbaltischen Helena eine in Berlin an ihrem unverstandenen Leben verzweifelnde Frau mädchenhaft reizend in leuchtend rotem Kleid und mit mehrfachen kaum mehr gekannten Knicksen vor. Jede Forscherin las zunächst kurz die fiktive Vita und ließ dann ebenso erfundene Verse folgen, zum großen Teil verfaßt in der jeweiligen Muttersprache. „Wenn Du etwas Wichtiges sagen willst, dann wechselst Du ins Deutsche“, bemerkte in anderem Zusammenhang eine Muse. Dem Ganzen folgte eine Schola Cantorum Kijoviensis: Ein Sängerkurs erwartet in der Klasse seinen Lehrer Martin, der nicht kommt – gemeint ist selbstverständlich Nikolaus und der steht für die unbegrünte Tanne auf dem Majdan – und diskutiert, ob es denn sinnvoll ist, sich dem Protest der Straße anzuschließen. Dies wird bejaht, und eine Stimme faßt am Ende kurz zusammen, wie man stets hier sagt: „Alles wird gut.“

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Michael Krüger kannte Rose Ausländer persönlich.  Von Bruno Schulz sucht er bereits seit langem eine verschollene Erzählung in Archiven. Besonders gern erinnert er sich aber an die enge Freundschaft mit Rezzori. Verteilt auf unterschiedliche Seelen begegneten sich Liebesleben und Leselieben in einem dritten Thema, dem gemeinsamen Kochen in Italien. Alles schlägt Brücken. So kommt er nicht umhin nachzusinnen: „Was sind wir für Barbaren, die wir noch nicht einmal Kyrillisch lesen können“. Um so stärker dafür seine Lyrik. Ferner Spiegel ist bei ihm die Natur,  weniger die Menschen.  Um Identität geht’s ihm wie den anderen und jüngeren nicht weniger.  Das Vergnügen, Pointen farbig schillern zu lassen, sie bis zur Neige auszukosten. Die Imagination des Hörers oder Lesers gängelt Krüger nicht, er traut ihr etwas zu. Sein österreichischer Dichterfreund Franz-Josef Czernin setzt auf die Ironie.

Die Vermessung rückwärts gewandter Utopie

In dem stilvollen alten Lesesaal der österreichischen Bibliothek, deren Mitbegründer und Leiter Professor Rychlo ist, diskutierten ukrainische und schweizer Schriftsteller sowie der österreichische Botschafter, moderiert von Igor Pomerantsev, über die  Vergangenheit. Die einen dachten über die Spiegelung der eigenen österreichischen Vergangenheit in der heutigen Bukowina nach. Die  Schriftstellerin Dragica Rajčić, Schweiz,  verwies darauf, dass rückwärts gewandte Utopie gerade von Exilanten gepflegt werde. „Dies ist psychologisch erklärbar: Je weniger Zukunft anscheinend da ist, um so mehr packt einen die rückwärtige Sehnsucht nach der Heimat“. Botschafter Wolf Dieter Heim machte darauf aufmerksam, dass gerade die für die Vergangenheit ungeklärte Täter-Opfer-Beziehung maßgeblich dazu beitrage, dass die russische Propagandamaschine mit ihren eigenen Ordnungsvorstellungen Verwirrung stiften könne. Insbesondere die Bukowina mit ihrer für die Ukraine ganz eigenen Toleranz könne einen wichtigen Beitrag in der jetzigen Lage leisten. Zugleich betonte er nachdrücklich, dass Österreich für die territoriale Unabhängigkeit der Ukraine eintrete. Der Kiewer Schriftsteller Andrii Bondar berichtete von seinem Staunen, das er beim Verfolgen der Entstehung des Romans „Felix Austria“ empfand, den seine Frau Sofija Andruchowytsch Anfang des Jahres veröffentlicht hat. Die Dankbarkeit, die ihn angesichts der hier ausgeloteten Humanität in Gesten, Ästhetik und Ausgeglichenheit erfüllte, sie könne er hinsichtlich der Sowjetunion nicht empfinden.

Begleitet vom Orchester jüdischer Musik, geleitet von Lev Feldman, stellte Peter Rychlo zwei von zehn geplanten Celan-Bänden auf Ukrainisch vor. Es folgten Lesungen französischer Lyrik von Philippe Beck und der Vortrag Bertrand Badious über die Beziehungen von René Char und Paul Celan. Ein gutes Dutzend ukrainischer, polnischer, österreichischer, schweizer und deutscher Lyriker fanden ihre Zuhörerschaft, wie die jungen Dichter zu später Stunde in der Poetennacht. Der als „Engel der Geschichte“ verkleidete Nielsen sang provozierend, etwa „Let the maidan rebels in your house“.  Neue Bücher aus dem Verlag Meridian Czernowitz wurden präsentiert: Czernowitzer Erzählungen, Irena Karpas Reiseband sowie Gedichte von Midna, Andrij Bondar und Igor Pomerantsev. Als Musendienst für Gäste aus dem Ausland wurde ukrainische Texte auf Deutsch verlesen. Beatrix Kersten hatte zu diesem Zweck ein Übersetzer-Stipendium in der Czernowitzer Residenz erhalten.

Grandioser Opernschluß

Das beeindruckende Finale der Opera Meridiana in Czernowitz fand unter besonders großer Anteilnahme der Stadt im Sommertheater des Schewtschenko-Parkes statt, wo einer der beliebtesten Autoren der ukrainischen Jugend, der Dichter Serhij Schadan, mit der Rock-Pop-Gruppe „Hunde“ die ganze Arena zum Toben brachte. Speziell mit dem Gedicht:  „Gedenke!“ – „ohne Dich wird gar nichts passieren“.

Ob denn auch Dichter schießen, wurde  in einer Diskussion gefragt. Es wurde auf Borys Humenjuk hingewiesen, der  als Freiwilliger in einem Bataillon im Osten kämpft und seine „Verse im Krieg“ schreibt.

Vera Bagaliantz, die seit Beginn ihrer Leitung des Goethe-Institutes in Kiew das Festival Meridian Czernowitz begleitet, es intensiv gefördert hat und weiter unterstützt: “Eine Stadt wie Czernowitz habe das Potential zur Förderung und Mitgestaltung der Geschicke des Landes. Hier lohne es sich für das Goethe-Institut, an vorderster Stelle tatkräftig unterstützend mitzuwirken und Flagge zu zeigen.” Nicht nur mit Dichtern sitzt die unermüdlich Kontakte knüpfende Berlinerin im Café. Besonders verstärken will sie unbedingt und bald die Kulturarbeit im Osten. Mit Bürgermeister Oleksij Kaspruk und Igor Pomerantsev denkt sie jetzt jedoch vor allem an eines: 2024 soll Czernowitz die Europäische Kulturhauptstadt werden.

Christian Weise, Zeitzug.com