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Das Regionale macht den Reiz aus

Bachmann-Wettbewerb: So spannend war es lange nicht mehr in Klagenfurt. Autor Tex Rubinowitz gewinnt erst im vierten Wahlgang den mit 25 000 Euro dotierten Preis
In seinem Text über einen Mann mit „lakonischem Sex-Appeal“ unter dem Titel „Wir waren niemals hier“ bietet der auch als Cartoonist und DJ erfolgreiche, in Niedersachsen geborene, in Wien lebende Autor Tex Rubinowitz eine unterhaltsame Pointenjagd. Liebhaber einer ernsthaften Literatur werden dieses Votum der Jury nicht goutieren. Aber eine Lanze für einen leichteren Ton tut der deutschsprachigen Literatur vielleicht gut, auch wenn diesem Text von Daniela Strigl „große Beiläufigkeit“ attestiert wurde. Sie hatte den Autor nach Klagenfurt eingeladen und findet diese Beiläufigkeit preiswürdig. Aber sie mochte wohl, dass eine ihr am Herzen liegende österreichische Tradition auf den zugereisten Wiener abgefärbt hat.

Aber weiter: Den mit 10 000 Euro dotierten Kelag-Preis gewinnt der Berner Michael Fehr für den Romanauszug „Simeliberg“, mit dem das Regionale und literarisch Anspruchsvolle angemessenen Platz fand. Der 3sat-Preis geht an Santhuran Varatharajah. Die Berlinerin Katharina Gericke erhält den Ernst-Willner-Preis für ihre Moabiter „Bezauberung“. Wiederum waren viele Wahlgänge erforderlich. Diese kluge Dramaturgie der Preisfindung hat Schule gemacht. So wurde der nach der Klagenfurter Lyrikerin Ingeborg Bachmann benannte Preis zur Mutter aller Castingshows.

Wie beim Wein rechnet man den Klagenfurter Preis gern nach Jahrgängen. Klima und Wetter geben die Qualität vor. In diesem Jahr schien die literarische Sonne am Wörther See nicht ganz so brillant. Dafür konnte man sich heuer auf die Lage stützen. Die Franzosen pflegen dafür den Begriff des terroir, also die Verbindung von Region und Kultur. Die Beteiligung Schweizer und vieler österreichischer Autoren verlieh diesem Jahrgang eine markante, „erdige“ Note. „Das Regionale hielt dem Druck aus der deutschen Zentrale stand“, wie die Wiener Jurorin Strigl treffend bemerkte.

Besonders deutlich wurde es im Vortrag des Schweizer Kelag-Preisträgers Michael Fehr. Er las unter dem Titel „Simeliberg“ Auszüge aus einem Werk, das im Frühjahr 2015 erscheinen wird. In einer Schweizer Landschaft bei Schweizer Wetter entwickelt sich zunächst eine kleine bürokratische Rangelei bis ein Trupp schwarzuniformierter junger Leute ins Spiel kommt, Rechtsradikale, Fremdenfeindliche – eine Schweizer Geschichte wird erzählt. Hier wird die Ambivalenz des Örtlichen, Regionalen ganz bewusst aufgerufen: das terroir als Quelle, aus der Persönlichkeiten und Literatur entspringen und der Boden – das Blut muss man sich hinzudenken – von dem man Fremde gewaltsam fernhalten will.

Das Regionale machte den Reiz auch im Beitrag von Gertraud Klemm aus, die in bester österreichischer Tradition des bösen Tons die condition humaine einer Mutter mit permanent schreiendem Kind beklagt. Die Radikalität ihres Zorns erinnerte nicht nur die Jury an Thomas Bernhard. Nur der Rheinländer Burkhard Spinnen sorgte sich um die Reproduktionsfähigkeit der Menschheit. Er hat den Schalk in der Schmäh nicht verstanden. Dabei ging es um echtes Leid und die Banalität dessen, was es so schon immer gab – aber eben auf Österreichisch.

Das Bewusstsein von terroir macht auch in der dominanten „Zentrale der deutschsprachigen Literatur“ Station. Katharina Gericke nahm das Publikum und Teile der Jury erfolgreich nach Berlin mit. In ihrem Beitrag ging es um die „Unaussprechlichkeit und Unlebbarkeit der Liebe im Moabiter Alltag“ (Burkhard Spinnen).

Schon in der Eröffnungsrede unter dem Titel „Im Licht der Sprache“ hatte Maja Haderlap, Gewinnerin des Bachmann-Preises von 2011, das Spannungsverhältnis zwischen Mutter- und Literatursprache zum Thema gemacht. Es blitzte preiswürdig auch während des Wettbewerbs wieder auf: In dem Text des in Jaffna (Sri Lanka) geborenen, heute in Berlin lebenden Senthuran Varatharajah. Auf Facebook chatten zwei Flüchtlingskinder. Eliona Surrois kurdische Familie ist aus der Türkei geflohen. Sie studiert in Marburg. Senthil Rajasingham hat es als Kind mit seiner tamilischen Mutter nach Deutschland verschlagen, er ist Doktorand in Berlin. Hier chatten zwei „Eingesprachte“ miteinander, führen einen Dialog über ihre Kindheit im Asylantenheim teils in der „Sprache von Hegel“ (Burkhard Spinnen), teils im Facebook-Jargon.

Was sprachliche Toleranz bedeutet, war in einer Rahmenveranstaltung „Ukrainische Lyrik und Lyrik aus Klagenfurt“ zu erleben. Nach einem schönen Vortrag über die Liebesbriefe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wurden Gedichte auf Ukrainisch und auf Russisch von Autoren aus Czernowitz vorgetragen. Die Stadt hatte ihre tolerantesten Zeiten, als sie zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehörte – wie Klagenfurt und wie auch Meran. Das alles gehört zum europäischen Toleranzraum, den Maja Haderlap aufgerufen hat und den es vor dem Ersten Weltkrieg schon einmal gegeben hat.

Unmittelbar nach der Preisverleihung erklärte der langjährige Juryvorsitzende Burkhard Spinnen, dass er Platz für Veränderungen machen wolle. Nicht alle waren traurig, dass er geht, vielleicht werden sich manche noch nach ihm zurücksehnen.

“Südkurier”