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Märkische Allgemeinen Zeitung: Ukrainische Autoren berichten in Potsdam, wie sie den Krieg erleben

In einem Hörsaal der Potsdamer Universität sitzen am Mittwochabend drei junge Autoren aus der Westukraine. Ihre fünftägige Lesereise hat das Auswärtige Amt ermöglicht. Alexander Wöll, Professor für Mittel‐ und Osteuropa, spricht von einem besonderen Glücksfall. Zwei der Schriftsteller stammen nämlich aus Iwano‐Frankiwsk, einer Stadt im Karpatenvorland, mit der Potsdam gerade eine Städtepartnerschaft angebahnt hat.

Die Koffer stehen bereit

Vor Roman Malynowsky liegt der 2021 erschienene Erzählband „Das süße Leben“. Der Titel sei ironisch gemeint. Der heute 37‐Jährige sei sich immer schon bewusst gewesen, dass das Leben etwas Bitteres, Negatives, Trauriges bereithält, übersetzt Evgenia Lopata sein Statement. Die Kostprobe, die Malynowsky vorliest, handelt von jungen Leuten, die sich nachts treffen, um Sternschnuppen zu entdecken und sich Wünsche auszudenken. Doch das romantische Szenario wird von „Boden‐Boden‐Raketen durchkreuzt, die den Himmel zerschneiden und wie fallende Sterne aussehen“. „Als ich 2015 mit dem Schreiben begann, herrschte bereits Krieg – auf der Krim und im Osten“, erklärt Malynowsky, der auch als Verleger arbeitet. Er berichtet von den Explosionen, die bereits am 24. Februar 2022 den vier Kilometer von seinem Haus entfernten Flughafen von Iwano‐Frankiwsk in Schutt und Asche legten. Seitdem stehe in allen Wohnungen ein Koffer mit Essen und Kleidung bereit, um jederzeit in die Schutzkeller zu fliehen. Als er vor seiner Bibliothek stand, um ein Buch auszusuchen, sei ihm ein beruhigender Gedanke gekommen: Viele Bücher, etwa von Kurt Vonnegut, Remarque, Böll oder Hemingway, würde es ohne Kriege nicht geben. „Das hat mir Hoffnung gemacht. Was mir aber Angst macht, dass nicht jeder überleben wird, viele werden sterben,“ so der hagere Mann.

Identitätsfragen der Ukrainer 

Sofia Andruchowytsch, 1982 in Iwano‐Frankiwsk geboren, lebt seit 18 Jahren in Kiew. Die Bücher ihres Vaters Juri Andruchowytsch gehören zu den Aushängeschildern des Berliner Suhrkamp Verlages. Sie selbst ist seit 2016 beim Wiener Residenz Verlag unter Vertrag. Im Januar erscheint dort der erste Teil ihres Romanprojektes „Amadoka“, das in der Ukraine 2020 viele Diskussionen auslöste. Denn sie wagt Antworten auf aktuelle Fragen: „Warum haben die Ukrainer in verschiedenen Teilen des Landes verschiedene Positionen? Warum ist es vielen Ukrainern nicht wichtig, Ukrainer zu sein?“

Mit dem Taxi an die Front

Wie renommiert Ljubka in der Ukraine ist, wird deutlich, als er das Buch zur Seite legt und einen aktuellen Text liest, der die Gegenwart absolut zupackend, anschaulich und beherzt einfängt. Darin erzählt Ljubka von einem Freund, „der nach dem 24. Februar die Militäruniform anzog“, von dessen Todesmut, aber auch von dessen Versuchen, sich im Heer ein eigenes Gesicht, Bildungserlebnisse, individuelle Gewohnheiten und Schrullen zu bewahren. Der uralte, gelbe Schulbus, mit dem die Soldaten aus der Westukraine in den umkämpfen Osten gefahren sind, gab unterwegs den Geist auf. „Von Uschhorod aus ist es näher bis Venedig als in den Donbas“, schreibt er erklärend. Vom eigenen Geld seien dann die „Soldaten, die noch vor zwei Wochen Zivilisten waren“, die letzten 200 Kilometer mit dem Taxi an die Front gefahren.